Schon des Öfteren habe ich Beiträge zur Frage habitueller Aborte – sinnvolle Diagnostik und mögliche Therapie – an dieser Stelle veröffentlicht. Basierend auf der aktuellen Evidenz beschränkt sich die Abklärung bei ansonsten unauffälliger Anamnese auf den Ausschluss eines Antiphospholipidsyndroms, eine Hysteroskopie zum Ausschluss uteriner Auffälligkeiten, insbesondere von kleineren oder größeren Septen und einer Chromosomenanalyse bei beiden Partnern. Die möglichen Therapieansätze sind dann die kombinierte Gabe von 100 mg Acetylsalicylsäure (ASS) und einem niedermolekularen Heparinpräparat bei Vorliegen eines Antiphospholipidsyndroms, das Abtragen von Septen und im Falle chromosomaler Auffälligkeiten eine Polkörperdiagnostik oder Präimplantationsdiagnostik zur Untersuchung der Eizelle bzw. des Embryos.

Problematisch ist der große Anteil von Paaren mit idiopathisch auftretenden habituellen Aborten, drei oder mehr Aborten in Folge. Weder ASS noch Heparin haben einen Effekt und auch zur Anwendung von Progesteron wurde prospektiv-randomisiert und doppelt verblindet kein Effekt gefunden. Diskutiert wird, auch in der aktuellen deutschsprachigen Leitlinie, die Anwendung von Dydrogesteron als potentielle Therapieoption.

Publiziert wird jetzt eine Meta-Analyse zur Anwendung von Gestagenen, Progesteron oder Dydrogesteron, zur Vorbeugung eines Abortes – allerdings bei Abortus imminens (Li et al. Effect of progestogen for women with threatened miscarriage: a systematic review and meta-analysis. British Journal of Obstetrics and Gynaecology 2020; 127: 1055 – 1063). Die Autoren demonstrieren ein RR von 1,07, 95% KI 1,00 – 1,15, p = 0,04, für die Anwendung von Gestagenen. Ein signifikanter Vorteil bestand jedoch nur für orale Gestagene (RR 1,17, 95% KI 1,04 – 1,31, p = 0,008) und nicht für vaginale (RR 1,04, 95% KI 1,00 – 1,08, p = 0,07).  Die 10 Studien wurden zwischen 1967 und 2019 publiziert, der Großteil (n = 8) ab 2004. Es gingen 5.056 Teilnehmerinnen in die Studien ein, allerdings stammten 4.153 (82%) aus einer einzigen Studie, die für sich genommen keinen Effekt zeigen konnte.

Grundsätzlich muss man die Schlussfolgerung ziehen, dass – wenn ein Effekt angenommen werden kann – dieser für Dydrogesteron aber nicht für Progesteron vorhanden ist. Die Dosierungen von Dydrogesteron lagen bei 10 mg zweimal am Tag in drei Studien, in zwei der vier Studien wurde eine Initialdosis von 40 mg einmalig gegeben, in einer dritten 20 mg allerdings gefolgt von 20 mg dreimal am Tag. In diesen vier Studien wurden 463 Patientinnen randomisiert beobachtet.

Was folgt aus diesen Daten? Grundsätzlich der Ruf nach einer suffizient großen, prospektiven, randomisierten kontrollierten Studie, um die Frage zu klären, ob orales Dydrogesteron bei Abortus imminens oder ggf. auch habituellen Aborten wirksam sein kann. Zwei Editorials haben sich in derselben Zeitschrift eher vorsichtigt geäußert. So weisen zwei Autoren aus den USA auf die begrenzte Aussagekraft der limitierten Daten hin und beziehen sich auch auf die Frage einer potentiellen Teratogenität von Dydrogesteron (Archer JS und Haas DM. Do we have an effective treatment for threatened miscarriage? British Journal of Obstetrics and Gynaecology 2020; 127: 1064). Ein niederländischer Autor kommentiert die Daten ebenfalls zurückhaltend (Hooker AB. Progesterone treatment in women with a threatened miscarriage remains controversial after reviewing the available literature. British Journal of Obstetrics and Gynaecology 2020; 127: 1065). So zeigte die Gabe des Gestagens vor der 12. Schwangerschaftswoche nur einen marginalen Effekt auf die Lebendgeburtenrate, zwischen 13 und 20 Schwangerschaftswoche allerdings einen höheren (RR 1,04, 95% KI 1,00 – 1,08 vs. RR 1,17, 95% KI 1,04 – 1,32). Die Lebendgeburtenrate wurde nur in 6 Studien analysiert – in der Hälfte dieser Studien gab es ein hohes Risiko für eine Verzerrung der Daten (ein Instrument der Cochrane-Library, um die Aussagekraft von Studien zu bewerten). In einer weiteren Studie war es aufgrund der verfügbaren Daten unklar, in zweien niedrig.

Insgesamt bleiben Fragen offen – vielleicht, ich bin vorsichtig, zeigt sich ein Silberstreif am Horizont. Ich halte die Wahrscheinlichkeit einer effektiven hormonellen Behandlung bei Abortus imminens allerdings für sehr gering aufgrund der physiologischen Überlegung, dass ein Gestagenmangel Folge und nicht Ursache von Aborten ist. Ich verweise da jetzt schon auf den nächsten Beitrag in diesem Blog, den ich in ein paar Tagen online stelle.

Möglicherweise aber deuten die Daten an – und so komme ich zurück auf den Anfang meines Beitrages – dass es doch eine Chance gibt, die Lebendgeburtenwahrscheinlichkeit für Frauen mit habituellen Aborten durch die Gabe oralen Dydrogesterons zu beeinflussen. Aufgrund der verfügbaren Daten wäre die Gabe von zweimal 10 mg täglich nach einer Initialdosis von 40 mg sinnvoll oder, da man in diesen Fällen prophylaktisch therapieren möchte, die Gabe von zweimal 10 mg oder ggf. eher dreimal 10 mg täglich. All das ist offen und bedarf weiterer Studien, eher man auf einer Evidenzbasis diese Therapie Patientinnen empfiehlt. Bei einem Abortus imminens sehe ich nach wie vor auch aufgrund dieser Studiendaten keinen erfolgsversprechenden Ansatz.

Ihr

Michael Ludwig