Multiple Sklerose (MS) und hormonelle Kontrazeptiva – man meint, das Thema wäre geklärt in dem Sinne, dass zum einen kein Risiko für eine MS besteht durch die Einnahme hormonelle Kontrazeptiva und zum anderen, dass hormonelle Kontrazeptiva en Verlauf einer MS nicht beeinflussen.
Nun erscheint eine Auswertung einer Datenbank aus Großbritannien. (Andrea Nova et al. Investigating the Influence of Oral Contraceptive Pill use on Multiple Sclerosis Risk using UK Biobank data. Fertility & Sterility 2024; im Druck: doi.org/10.1016/j.fertnstert.2024.07.999)
Inkludiert waren Daten von 181.058 Frauen, geboren zwischen 1937 und 1970, von denen 1.131 eine MS-Diagnose hatten. In der Gesamtkohorte war das Risiko durch hormonelle Kontrazeptiva unbeeinflusst. Relevant allerdings wurde der Einfluss, wenn als Entscheidungskriterium zusätzlich die Parität berücksichtigt wurde sowie die Frage, ob die Anwendung hormoneller Kontrazeptiva aktuell oder anamnestisch erfolgte. Wurden Frauen, die nie hormonelle Kontrazeptiva angewendet hatten, als Referenz gewählt, dann lag das Risiko derjenigen, die früher hormonelle Kontrazeptiva angewendet hatten und Kinder bekommen hatten auf einem nicht signifikant unterschiedlichen Niveau.
Frauen, die hormonelle Kontrazeptiva angewendet hatten und keine Kinder hatten, hatten ein etwa doppeltes Risiko (HR 2,08, 95% KI 1,04 – 4,17), wenn sie jemals Kontrazeptiva angewendet hatten und ein dreifaches Risiko, wenn sie aktuell welche anwendeten (HR 3,15, 95% KI 1,43 – 6,92).
Das sind, wie eingangs schon geschrieben, spannende Ergebnisse. In Absolutzahlen ist das Risiko nicht wirklich hoch, wenn man eine Inzidenz der MS von 0,1% annimmt. Dennoch ist das Ergebnis aufgrund der bisherigen Annahme zu diesem Thema relevant und interessant.
Den Autor:innen ist bewusst, dass es andere Ergebnisse zu diesem Thema gibt. Sie vermuten methodische Einschränkungen anderer Studien wie die mangelhafte Berücksichtigung anamnestischer Daten und unvollständige Daten zur Nutzung hormoneller Kontrazeptiva. Die Stärke der Daten, so die Autor:innen, liegt in der großen Stichprobe, den detaillierten Daten zur Nutzung hormoneller Kontrazeptiva und dem langen überblickten Zeitraum. Eine (kleine) Einschränkung ist allerdings, dass die Art verwendeter Kontrazeptiva unklar ist. Es dürften eher höher dosierte Präparate gewesen sein (bis 50 µg Ethinylöstradiol).
Biologischer Mechanismus der Beobachtung könnte die Auswirkung auf das Immunsystem sein, eine Neuroinflammation. Andererseits mag die hormonelle Situation während der Schwangerschaft, so die Autor:innen, einen schützenden Effekt auf das Nervensystem haben.
Diese Auswertung ist sicher bemerkenswert. Das Absolutrisiko ist niedrig. Dennoch führt diese Publikation ggf. dazu, weitere Daten zu sammeln. Ich sehe aufgrund der Daten – wenn nicht anderweitig kontraindiziert – keinen Grund auf kombinierte Kontrazeptiva zur Kontrazeption bei Frauen, die bereits eine MS haben, zu verzichten. Auf diese Population lassen die Daten sich nicht übertragen.
Ihr
Michael Ludwig
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