Vor vielen Jahren hatten Autoren im British Medical Journal darauf hingewiesen, dass evidenz-basierte Medizin wichtig ist aber dass eben nicht alles bewiesen werden muss. Als Beispiel diente den Autoren die Frage, ob Fallschirme vor Verletzungen oder Tod bei Absprung aus großer Höhe schützen. Wenig überraschend fanden sie für ihre geplante Meta-Analyse keine Studien, so dass sie zu der Schlussfolgerung kamen, dass die Frage unbeantwortet bleiben muss.

Nun ist in dieser Zeitschrift zu eben dieser Frage eine prospektive, randomisierte, tatsächlich sogar verblindete Studie erschienen: Menschen sollten mit einem Rucksack aus einem Flugzeug springen ohne zu wissen, ob sie nur einen Rucksack oder einen funktionsfähigen Fallschirm dabei hatten (Robert W Yeh et al. Parachute use to prevent death and major trauma when jumping from aircraft: randomized controlled trial. BMJ 2018; 363: k5094).

Das Fazit der Studie: Mit und ohne Fallschirm lag die Wahrscheinlichkeit von Verletzungen oder Todesfällen bei 0%! Das überrascht einen solange man nicht tiefer in die Daten schaut: Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sich randomisieren ließen und die Studie tatsächlich durchführen sprangen aus deutlich geringerer Höhe (0,6 m vs. 9.146 m, p < 0,001) bei deutlich geringerer Geschwindigkeit (0 km/h vs. 800 km/h, p < 0,001). Hintergrund dieses Ergebnisses ist, dass der ursprüngliche Ansatz, die jeweiligen Sitznachbarn bei Langstreckenflügen zu rekrutieren, fehlschlug. Daher wurde dazu übergegangen, auch aus stehenden Kleinflugzeugen zu springen.

Was also die Autoren zeigen wollten war, dass man sich Studienpopulationen manchmal genau ansehen muss, bevor man die Studienergebnisse glaubt. Vor allem lohnt es sich bei bestimmten Fragestellungen Unterschiede zwischen den gescreenten Personen und denjenigen, die die Studie tatsächlich durchführten, anzusehen, bevor man die Ergebnisse auf alle Patientinnen oder Patienten überträgt. Anders gesagt: Welche Population wurde tatsächlich behandelt – eine Risikopopulation (Sprung aus fliegenden Verkehrsmaschienen in fast 10.000 m Höhe) oder der Allgemeinbevölkerung (Sprung aus stehenden Kleinmaschinen aus 60 cm Höhe).

Viel Aufwand für eine wichtige Aussage, sehr unterhaltsam aufbereitet!

Ihr

Michael Ludwig