Zwei interessante Publikationen der letzten Monate kommen zu sehr unterschiedlichen Auffassungen zum Mammakarzinomrisiko bei Frauen mit prämaturer Ovarialinsuffizienz.

Frauen mit prämaturer Ovarialinsuffizienz (POI) haben eine verkürzte reproduktive Lebensspanne, was zahlreiche gesundheitliche Konsequenzen mit sich bringt.

Bislang galt die Annahme, dass eine eine geringere Anzahl an Menstruationszyklen im Leben mit einem niedrigeren Brustkrebsrisiko einhergeht. Diese Hypothese basiert auf großen epidemiologischen Untersuchungen, die zeigen, dass die kumulative Hormonexposition – insbesondere Progesteron – eine Rolle bei der Entstehung von Brustkrebs spielen könnte. Ein kürzlich erschienener Letter in Fertility & Sterility verweist auf diese Daten und stützt die Idee, dass eine kürzere hormonelle Exposition protektiv wirken könnte. (Herjan J.T. Coelingh Bennink et al.

Premature Ovarian Insufficiency and the Risk of Breast Cancer. Fertility & Sterility 2025; im Druck: doi.org/10.1016/j.fertnstert.2025.02.036)

Eine aktuelle Fall-Kontroll-Studie aus Utah kommt jedoch zu einem ganz anderen Ergebnis. (Kristina Allen-Brady et al. Breast Cancer Is Increased in Women With Primary Ovarian Insufficiency. Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism 2024; im Druck: 10.1210/clinem/dgae480) Hier zeigte sich, dass POI-Patientinnen möglicherweise sogar ein erhöhtes Risiko für Mammakarzinome sowie andere hormonabhängige Krebserkrankungen haben. Die Autor:innen vermuten, dass genetische Faktoren, insbesondere Mutationen in DNA-Reparaturgenen, sowohl für die ovarielle Dysfunktion als auch für das erhöhte Malignomrisiko verantwortlich sein könnten.

Welche dieser beiden Perspektiven ist die plausiblere? Ist POI ein Schutzfaktor oder ein Risikomarker für Mammakarzinome?

Dass die Gesamtzahl der Menstruationszyklen das Brustkrebsrisiko beeinflusst, ist gut belegt. Frauen mit einer regulären Zykluslänge von 28 Tagen haben bis zur Menopause im Schnitt etwa 520 Zyklen. Jede dieser Hormonphasen geht mit einer wiederkehrenden Stimulation des Brustgewebes durch Östrogene und Gestagene einher. Besonders Progesteron könnte hierbei eine Rolle spielen, da es über parakrine Faktoren wie WNT4 und RANKL das Zellwachstum fördert und möglicherweise mutagene Prozesse im Brustgewebe auslöst.

Der Letter in Fertility & Sterility bezieht sich auf Daten, die zeigen, dass Frauen mit einer Menopause vor dem 40. Lebensjahr eine um 45 % reduzierte Brustkrebssterblichkeit aufweisen (HR 0,55). Auch in einer Brustkrebs-Screening-Kohorte mit über 10.000 Frauen zeigte sich, dass eine Menopause vor 45 Jahren das Mammakarzinomrisiko um 34 % senkte. Die jährliche Hazard Ratio für Mammakarzinome fiel mit jedem vorgezogenen Jahr der Menopause um 2,6 %.

Diese Daten sprechen für einen kausalen Zusammenhang: Eine geringere Anzahl an Menstruationszyklen bedeutet weniger zyklisches Progesteron, was wiederum die Brustzellen weniger oft in eine proliferative Phase versetzt. Dieser Mechanismus könnte erklären, warum eine frühzeitige Menopause oder eine prämature Ovarialinsuffizienz langfristig mit einem geringeren Mammakarzinomrisiko assoziiert ist. Die bereits von mir diskutierte neue Leitlinie zur prämaturen Ovarialinsuffizienz geht davon aus, dass das Mammakarzinomrisiko bei Frauen mit einer prämaturen Ovarialinsuffizienz durch die hormonelle Substitution nicht beeinflusst wird. In einem Antwort-Letter der Autoren der Leitlinie wird auch darauf noch einmal explizit eingegangen. Zudem wird bestätigt, dass die Vorteile einer Substitution die potentiellen (!) Nachteile überwiegen („… that the pros are likely to outweigh the cons …“). (Nick Panay et al. Premature Ovarian Insufficiency and the Risk of Breast Cancer: Author Reply. Fertility & Sterility 2025; im Druck: doi.org/10.1016/j.fertnstert.2025.03.019) Den Vorschlag von Coelingh Bennink et al., auf ein Gestagen bei der Substitution von Frauen mit prämaturer Ovarialinsuffizienz zu verzichten, nur mit Östrogenen zu substituieren und die Sicherheit mit einem gelegentlichen Monitoring zu prüfen, halten sie – freundlicher formuliert – für absurd bei dem belegten 12-67-fach erhöhten Risiko für eine Endometriumhyperplasie oder ein Endometriumkarzinom.

Aber zurück zur Diskussion der beiden Überlegungen zum Mammakarzinomrisiko. Im Gegensatz zu den Überlegungen des hormonellen Risikos betrachtet die erwähnte Fall-Kontrolle-Studie das Krebsrisiko nicht als direkte Folge der hormonellen Exposition, sondern als mögliche genetische Assoziation. In dieser Fall-Kontroll-Analyse wurden 613 Frauen mit POI mit der Allgemeinbevölkerung verglichen. Die Diagnose wurde im Mittel von 32,7 ± 7,4 Jahren gestellt, das mittlere Alter zur Untersuchung des Malignomrisikos war 48,3 ± 11,8 Jahre.

Die Ergebnisse zeigen ein deutlich erhöhtes Risiko für hormonabhängige Krebserkrankungen:

– Mammakarzinom-Risiko: OR 2,20, 95 % KI 1,30 – 3,47

– Ovarialkarzinom-Risiko: OR 3,67, 95 % KI 1,00 – 10,71

– Colonkarziom-Risiko: OR 1,50, 95 % KI 1,14 – 1,94

– Prostatakarzinom-Risiko bei männlichen Verwandten: OR 1,64, 95 % KI 1,18 – 2,23

Die Arbeitsgruppe führte eine genetische Analyse durch, allerdings nur bei 6 der 613 Frauen. In dieser Gruppe fand man Mutationen in DNA-Reparaturgenen wie RAD51D, FANCM und MORC2, die mit einem erhöhten Malignomrisiko assoziiert sind.

Warum wer genetisch untersucht wurde, wird aus dieser Publikation nicht deutlich. Interessant ist das Ergebnis aber allemal, da es v.a. für diejenigen Frauen mit „idiopathischer prämaturer Ovarialinsuffizienz“, wenn also anamnestische Faktoren (Chemotherapie etc.) und genetische offensichtliche Faktoren (Chromosomenanomalien, FMR1-Mutationen) ausgeschlossen wurden, ein erhöhtes Risiko bedeuten kann. Es kann nicht abgeschätzt werden, wie hoch der Anteil an genetischen Veränderungen in der Population von Patientinnen mit POI tatsächlich ist – die Malignomrisiken lassen aber einen relevanten Anteil vermuten. Das Besondere an dieser untersuchten Kohorte ist, dass alle Frauen mit POI und kausaler Erklärung ausgeschlossen waren. Das galt explizit für Frauen mit Ovarektomie, Endometriose, Operationen im Beckenbereich, vorangegangene Chemotherapien oder Radiatio und Frauen mit Turner Syndrom. Insofern war dies eine sehr ausgesuchte Kohorte.

Was bedeutet das für uns in der Praxis? POI ist keine homogene Erkrankung. Wir sollten uns bei von POI betroffenen Frauen auch auf die onkologische Familienanamnese konzentrieren, wenn andere Ursachen für die POI ausgeschlossen worden sind. Möglicherweise ist dann für dieses Kollektiv eine intensiviertere Vorsorge indiziert. Für Frauen mit bekannter Ursache kann man offenbar ein eher reduziertes Risiko für Mammakarzinome annehmen.

Ihr

Michael Ludwig