Die EAGR-Studie (Effects of Aspirin on Gestation and Reproduction) hat die Therapie v.a. von Patientinnen mit habituellen Aborten maßgeblich beeinflusst. Insbesondere hat sie in prospektiver, randomisierter, placebo-kontrollierter Art gezeigt, dass die Gabe von 81 mg ASS keinen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit weiterlaufender Schwangerschaften in diesem Kollektiv hat.

Nun publiziert eine Autorengruppe eine Sekundäranalyse, in der die ursprünglichen Ergebnisse noch einmal dahingehend analysiert wurden, ob die Patientinnen das ASS auch verlässlich eingenommen hatten (Ashley I. Naimi et al. The Effect of Preconception-Initiated Low-Dose Aspirin on Human Chorionic Gonadotropin–Detected Pregnancy, Pregnancy Loss, and Live Birth. Per Protocol Analysis of a Randomized Trial. Annals of Internal Medicine, im Druck, doi:10.7326/M20-0469).

Die Packungen mit den zur Verfügung gestellten Tabletten waren während der Studie regelmäßig gewogen worden. Über den gesamten Studienverlauf hinweg lag die Verlässlichkeit der regelmäßigen täglichen Einnahme bei 68% bzw. 66% (ASS bzw. Placebo). Zudem sank die Verlässlichkeit der Einnahme von 74% vor einer Konzeption auf 64% danach. Verlässlichkeit bedeutet bei dieser Auswertung, dass die Studienteilnehmerinnen das jeweilige Präparat für mindestens 5 von 7 Wochentagen anwendete.

Wurde ASS verlässlich eingenommen so führte das im Vergleich zur Placebo-Gruppe zu mehr Schwangerschaften (RR 1,12, 95% KI 1,02 – 1,23), weniger Aborten (RR 0,69, 95% KI 0,50 – 0,95) und mehr Lebendgeburten (RR 1,33, 95% KI 1,08 – 1,64). Pro 100 Frauen bedeutete das 8 mehr Schwangerschaften (95% KI 4,64 – 10,96), 6 weniger Aborte (95% KI 12,00 – 0,20) und 15 mehr Lebendgeburten (95% KI 7,65 – 21,15). Der Effekt änderte sich wenig, wenn „Verlässlichkeit“ als Anwendung für 4-7 oder 6-7 Tage definiert wurde.

Diese Studie ist mehr als bemerkenswert. Sie zeigt etwas, das wir häufig aus den Augen verlieren: Dass Patientinnen schlussendlich nicht das tun, was wir Ihnen empfehlen, wir aber davon ausgehen, dass sie genau das getan haben. Nun muss man bedenken, dass es sich hier um eine Studie handelte, die Wahrscheinlichkeit der Einnahme-Verlässlichkeit vermutlich also sogar deutlich höher war als im wirklichen Praxis-Alltag.

Insofern muss man ggf. revidieren, dass ASS niedrig dosiert keinen Effekt bei Frauen mit vorangehenden Aborten hat. Desweiteren muss man überlegen, wie man Patientinnen motiviert, bei einer empfohlenen Therapie wie dieser zu bleiben. Da niedrig dosiertes ASS so gut wie keine relevanten Nebenwirkungen hat entsteht natürlich auch die große Frage, was eigentlich mit denjenigen Therapien ist, von denen wir eine Effektivität erwarten, die aber mit Nebenwirkungen einhergehen.

Ihr

Michael Ludwig