Migräne und Kontrazeption – ein immer wieder spannendes Thema. Ich bin auf eine Publikation aufmerksam geworden, die bereits im Oktober 2017 erschienen ist (Sacco et al. Hormonal contraceptives and risk of ischemic stroke in women with migraine: a consensus statement from the European Headache Federation (EHF) and the European Society of Contraception and Reproductive Health (ESC). J Headache Pain 2017; 18: 108 – 127). Dort werden Empfehlungen für die Kontrazeption bei Frauen mit Migräne mit und ohne Aura ausgesprochen, die Autoren stehen für die European Headache Federation und die European Society of Contraception and Reproductive Health.

Die Aussagen stehen dem entgegen, was vor einigen Jahren von der Deutschen und Internationalen Kopfschmerzgesellschaft verlautbart wurde: Wenn keine weiteren Risikofaktoren vorliegen ist der Einsatz von kombinierten Kontrazeptiva bei einer Migräne mit Aura nicht unbedingt kontraindiziert (http://frauenarzt.de/index.php/heftarchiv/55-jahrgang-2014/frauenarzt-1-14/862-fa-2014-1-fort-kopfschmerzen-und-migraene-wann-darf-ein-orales-kontrazeptivum/file).

In der jetzigen Publikation sind die Empfehlungen sehr viel restriktiver und es wird von kombinierten Kontrazeptiva bei einer Migräne mit Aura in jedem Fall abgeraten. Empfohlen sind nur Gestagen-Mono-Präparate oder nicht-hormonelle Methoden. Bei einer Migräne ohne Aura wiederum sind grundsätzlich niedrig dosierte Präparate möglich (< 35 µg), allerdings nur dann, wenn eben keine Risikofaktoren vorliegen (Rauchen, Hypertonus, Adipositas, kardiovaskuläre Vorerkrankungen, Thrombosen oder Embolien in der Anamnese). Insgesamt 13 Empfehlungen werden ausgesprochen – dies sind die m.E. nach relevantesten. Der Gesamttext ist frei zum Download (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5662520/pdf/10194_2017_Article_815.pdf).

Die Autoren setzen damit einen Punkt, den man wegen der Fachgesellschaften, die dahinter stehen, nicht links liegen lassen kann. Ob man damit vielen Frauen mit Migräne Unrecht tut und sie konsekutiv suboptimal behandelt wissen wir nicht. Auch die Autoren schreiben sehr deutlich, bei 12 von 13 ihrer Statements, dass die wissenschaftliche Grundlage für ihre Aussage „niedrig“ ist. Die Stärke der Empfehlungen ist in 9 von 13 Fällen „schwach“, in den anderen 4 „stark“. Die wiederum sind so eindeutig, dass daran auch nicht zu rütteln ist: Man soll Frauen vor Verschreibung hormoneller Kontrazeptiva gut evaluieren, eine Migräne gut abklären und niedrig dosierte Präparate bevorzugen. Der ebenfalls als „starke Empfehlung“ formulierte Punkt 5 besagt, dass man bevorzugt (!) Gestagen-Mono-Präparate oder nicht-hormonelle Methoden bei Frauen mit einer Migräne mit Aura einsetzen solle – auch dem stimme ich zu.

Kurzum: Wir müssen vor dem Hintergrund solcher Empfehlungen sehr vorsichtig sein mit der Verschreibung kombinierter Kontrazeptiva bei Frauen mit einer Migräne mit Aura. Bislang – und daran ändert dieser Artikel nichts („low quality of evidence“) – gehe ich davon aus, dass es keine ausreichende Literatur gibt, die tatsächlich eine Steigerung des Schlaganfall-Risikos bei Frauen mit Migräne mit Aura durch Anwendung kombinierter Kontrazeptiva belegt. Dennoch ist eben diese Empfehlung im Raum und tatsächlich wissen wir eben nicht, ob möglicherweise doch das Risiko für einen Schlaganfall erhöht wird.

Seien wir also vorsichtig und nutzen die Gestagen-Mono-Präparate oder nicht-hormonellen Methoden in dieser Risikokonstellation.

Ihr

Michael Ludwig