Das PCO-Syndrom bleibt spannend, was seine genaue Pathophysiologie angeht. Trotz Jahrzehnten intensiver Forschung ist immer noch unklar, warum sich dieses komplexe Muster aus Zyklusstörungen, Hyperandrogenismus und Insulinresistenz herausbildet. Zwei aktuelle Hypothesen liefern Puzzleteile und fügen sich gerade auf, wie ich finde, spannende Weise zusammen.

Lange galt das neuroendokrine Modell: Eine beschleunigte GnRH-Pulsfrequenz führt zu LH-Exzess, treibt die Androgenproduktion der Thekazellen an und blockiert so die Follikelreifung. Joop Laven hat diese Sicht jüngst erweitert. (Joop Laven. Polycystic Ovary Syndrome (PCOS): Anti-Müllerian Hormone (AMH) and its role in the pathophysiology of the syndrome. Fertility and Sterility 2025; im Druck: DOI: 10.1016/j.fertnstert.2025.08.023) Er rückt das Anti-Müller-Hormon (AMH) ins Zentrum. AMH verstärkt nicht nur die GnRH-Pulsfrequenz, sondern hemmt auch die Aromatase – dazu hatte ich in meinem Blog schon mal etwas geschrieen – und fördert so die lokale Androgenakkumulation. Besonders interessant ist sein Gedanke, dass erhöhte AMH-Spiegel in der Schwangerschaft die Plazenta-Aromatase blockieren könnten – mit der Folge, dass die Feten einer höheren Androgenexposition ausgesetzt sind und damit möglicherweise schon während ihrer fetalen Entwicklung eine Art „PCOS-Programmierung“ erfahren. PCO-Syndrom als transgenerationale Endokrinopathie: Das ist eine Hypothese, die erklärt, warum die Störung weitergegeben werden kann.

Von einer anderen Seite, aber ebenso plausibel, argumentieren Francis de Zegher und Lourdes Ibáñez. (Francis de Zegher und Lourdes Ibáñez. Early Origins of Polycystic Ovary Syndrome: Bridging the Hypotheses. Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism 2025; 110: e2797-e2799)

Sie sehen das PCO-Syndrom eher als primär metabolische Störung und verknüpfen zwei ältere Hypothesen – den „pränatalen Androgenexzess“ und die „Adipogenese-Limitierung“ – über ein gemeinsames Molekül: PPAR-γ. PPAR-γ steht für Peroxisome Proliferator-Activated Receptor Gamma. Es handelt sich um einen nukleären Rezeptor, also einen Transkriptionsfaktor im Zellkern, der als Schalter für Gene dient. PPAR-γ ist der zentrale Taktgeber der Fettzellbildung (Adipogenese). Ohne seine Aktivität entstehen keine reifen Adipozyten. Normalerweise sorgt PPAR-γ dafür, dass genügend subkutane Fettzellen gebildet werden, die überschüssige Energie sicher speichern und gleichzeitig die Insulinsensitivität des Körpers erhalten. Wenn PPAR-γ aber gehemmt oder vermindert exprimiert wird, entstehen zu wenige dieser „sicheren Speicherzellen“. Das überschüssige Fett muss irgendwohin – und lagert sich dann in Leber oder Muskulatur ab. Die Folge: ektopische Lipidakkumulation und Insulinresistenz. Der pränatale Aspekt der beiden Autoren: Sowohl eine Wachstumsrestriktion (die Placenta liefert weniger PPAR-γ an den Fetus) als auch ein Androgenexzess können PPAR-γ in seiner Funktion drosseln. Am Ende laufen beide Wege auf dasselbe hinaus: eine limitierte Adipogenese, die den Stoffwechsel des Kindes nachhaltig prägt.

Damit schließt sich der Kreis: Während AMH die neuroendokrine Achse betont, liefert PPAR-γ einen Schlüssel für die metabolische Achse. Beides ergänzt sich zu einem Netzwerkmodell des PCO-Syndroms, in dem Gehirn, Ovarien, Plazenta und Fettgewebe eng miteinander verflochten sind.

Therapeutisch sind die Hypothesen noch nicht reif für die Praxis, aber sie eröffnen neue Blickrichtungen. Tiermodelle deuten an, dass eine Blockade der AMH-Signale den Zyklus normalisieren kann. Auf der anderen Seite zeigen PPAR-γ-Agonisten (wie Pioglitazon), dass man die Insulinsensitivität verbessern – und indirekt auch den Reproduktionsstatus beeinflussen – kann.

Das PCOS lässt sich weder allein als Hormonstörung noch allein als Stoffwechselproblem erklären – beide Achsen greifen ineinander. AMH treibt die neuroendokrine Dysregulation (GnRH, LH, Hyperandrogenismus), während PPAR-γ die metabolische Grundlage (Adipogenese, Fettspeicherung, Insulinresistenz) liefert. Zusammen entsteht ein Syndrom, das nicht im Eierstock beginnt, sondern ein systemisches Netzwerk aus Endokrinologie und Stoffwechselbiologie widerspiegelt.

Aktuell, hier und heute, ist das vor allem eines: interessant. Unsere therapeutischen Möglichkeiten sind aber heute nach wie vor insofern limitiert, als wir nur die Symptome managen können: Zyklusstörungen regulieren, den häufig erhöhten BMI reduzieren (zumindest dazu beraten, das zu tun). Möglich ist, und dann „lohnt“ sich die Diagnose „PCO-Syndrom“, dass wir in Zukunft über sehr viel zielgerichtete, pathophysiologisch-orientierte Therapieansätze mit hoher Effektivität verfügen.

Ihr

Michael Ludwig