Ein niedriger AMH-Wert korreliert mit einer eingeschränkten ovariellen Reserve. Doch was bedeutet das für das Fehlgeburtsrisiko? Eine neue systematische Übersichtsarbeit mit Metaanalyse in Reproductive BioMedicine Online kommt zum Schluss: Frauen mit niedrigem AMH hätten ein signifikant höheres Risiko für Fehlgeburten. Doch bei näherer Betrachtung zeigt sich: Diese Schlussfolgerung steht auf wackligem Fundament – und liefert klinisch wenig Mehrwert.
Die Autor:innen werteten 18 retrospektive Studien mit über 44.000 Frauen aus, die per ART (IVF/ICSI/Insemination) schwanger wurden. Im Gesamtkollektiv war das Fehlgeburtsrisiko bei niedrigen AMH-Werten (<1–1,2 ng/ml) im Vergleich zu mittel-hohen Werten um etwa 41 % erhöht (OR 1,41; 95 % KI 1,14–1,73). Dieser Effekt war bei sehr niedrigem AMH (<0,7 ng/ml) noch deutlicher (OR 1,63; 95 % KI 1,02 – 2,59). Signifikant war dieser Zusammenhang ausschließlich bei Frauen < 35 Jahren (OR 1,31; 95 % KI 1,15 – 1,49), bei älteren nicht (OR 1,29; 95 % KI 0,95 – 1,76).
Was auf den ersten Blick nach klinischer Relevanz aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als methodisches Problem: Die Studie adjustiert nicht kontinuierlich für das Alter, sondern vergleicht lediglich zwei Altersgruppen: < 35 vs. ≥ 35 Jahre. Das ist problematisch, denn AMH und Alter sind eng korreliert – je älter die Frau, desto niedriger typischerweise das AMH. Ein niedriger AMH ist also häufig nur ein Surrogat des Alters – und das Alter ist bekanntermaßen der stärkste Einzelprädiktor für Aborte. Wer dann einen Zusammenhang zwischen AMH und Fehlgeburt findet, hat womöglich nur das Alter gemessen – nicht die ovarielle Reserve an sich.
Die Autor:innen diskutieren diesen Zusammenhang, lösen ihn aber nicht auf. Es fehlt eine altersadjustierte multivariate Analyse oder eine feinere Alterskategorisierung (z. B. 25–30, 31–35, 36–40 Jahre), um zu zeigen, ob ein niedriges AMH innerhalb eines engen Altersbereichs tatsächlich unabhängig mit dem Abortrisiko korreliert. Diese Frage wäre für die klinische Praxis entscheidend – bleibt hier aber unbeantwortet.
Ein niedriger AMH-Wert bei jungen Frauen könnte neben einer Abnahme der ovariellen Reserve auf eine abnahme der Follikelqualität hinweisen. Doch das bleibt eine Hypothese. Die vorliegende Metaanalyse belegt das nicht. Ein statistisch sauberer Nachweis, dass AMH über das Alter hinaus eine unabhängige, additive Risikoabschätzung für Fehlgeburten erlaubt, gibt es nicht.
Diese Studie liefert viele Zahlen, aber wenig klinisch Verwertbares. Sie bestätigt, was wir wissen – dass das Fehlgeburtsrisiko mit dem Alter steigt – und lässt offen, ob das AMH etwas Eigenständiges sagt. Wer mit Patientinnen über Risiko sprechen will, bleibt auch nach dieser Metaanalyse beim wichtigsten Faktor: dem Alter.
Ihr
Michael Ludwig
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