Durch eine Debatte in der Zeitschrift Human Reproduction bin ich auf eine Publikation aufmerksam geworden, die bereits Anfang 2024 publiziert worden war. (Elinor Chelsom Vogt et al. Improving diagnostic precision in primary ovarian insufficiency using comprehensive genetic and autoantibody testing. Human Reproduction 2024; 39: 177 – 189)
Nach Angabe der Autor:innen bleiben 70-90 % der Fälle einer prämaturen Ovarialinsuffizienz unerklärt, also idiopathisch. Im Rahmen ihrer Studie wurde bei 100 Frauen mit neu diagnostizierter prämaturer Ovarialinsuffizienz (POI) eine erweiterte Diagnostik durchgeführt, über eine Chromosomenanalyse und die FMR1-Testung hinaus. Diese beinhaltete ein next-generation-sequencing von 103 POI-assoziierten Genen, ein whole-exome-sequencing sowie Tests auf Autoantikörper (21-Hydroxylase, SCC, 17-Hydroxylase, NALP5) zum Erkennen assoziierter endokriner Erkrankungen, v.a. eines Morbus Addison (21-Hydroxylase-, SCC) bzw. des Erkennens einer Autoimmungenese der POI selbst (SSC, 17-Hydroxylase, NALP5).
Mit dieser intensivierten Diagnostik konnte die Ätiologie in 41 % geklärt werden:
- 8 % Chromosomenanomalien
- 3 % FMR1-Prämutationen
- 16 % pathogene oder wahrscheinlich pathogene genetische Varianten
- 3 % autoimmune Genese
- 11 % genetische Varianten mit unklarer Signifikanz.
In anderen Untersuchungen wurde die Wahrscheinlichkeit einer autoimmunen Genese auf bis zu 30 % geschätzt, die Varianz in unterschiedlichen Kohorten ist groß und schwankt zwischen 0 und eben diesen 30 %.
Ausgeschlossen von diesen Untersuchungen waren Frauen mit bekannter iatrogener Genese, diese erfüllten 5 von ursprünglich 105 Frauen, also knapp 5 %. Auch diese Rate ist sehr niedrig, wird in anderen Kohorten mit 10 – 30 % angegeben, was einen gewissen Selektionsbias vermuten lässt.
Insofern sind die Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Ursachen ggf. eher vorsichtiger zu interpretieren. Sie zeigen aber ein sehr präzises Bild unter den vorgegebenen diagnostischen Umständen für eine gewisse Orientierung v.a. bzgl. der Wahrscheinlichkeit bei nicht-iatrogener Ursache doch eine Ursache durch intensive Diagnostik zu finden.
In der eingangs erwähnten Debatte diskutieren verschiedene Autor:innen den Wert der angewendeten intensiven Diagnostik. (Omar F. Ammar et al. Genomics in diagnosing primary ovarian insufficiency (POI): the door is open, but the path is still to be paved. Human Reproduction 2025; im Druck: doi.org/10.1093/humrep/deaf084) Sie heben dabei heraus, dass eine Genotyp-Phänotyp-Korrelation nicht möglich war, dass aber der polygene Score, wie von Vogt et al. angewendet, ggf. ein erfolgversprechendes und für die Betroffene hilfreiches diagnostisches Instrument sein kann.
Ihr
Michael Ludwig
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