Verschiedene Fachgesellschaften haben eine gemeinsame Leitlinie für das Thema „prämature Ovarialinsuffizienz“ entwickelt. (Evidence-based guidline: premature ovarian insufficiency. Fertility & Sterility 2024; im Druck: https://doi.org/10.1016/j.fertnstert.2024.11.007)
POI bezeichnet den Verlust der ovariellen Funktion vor dem 40. Lebensjahr, gekennzeichnet durch Amenorrhoe oder unregelmäßige Zyklen sowie biochemische Nachweise (FSH > 25 IE/l). Die Prävalenz wurde in neueren Studien auf etwa 3,5 % geschätzt. Andere allerdings kamen in den letzten Jahren auf eine geringere Prävalenz (0,5 %) als bisher angenommen (1 %).
Die Arbeitsgruppe differenziert in der Einleitung deutlich den Begriff der „frühen Menopause“, den Eintritt der Menopause zwischen 40 und 45 Jahren und stellt klar, dass es sich dabei nicht um eine prämature Ovarialinsuffizienz handelt, ggf aber bestimmte Überlegungen (hormonelle Substitution) für diese Patientinnen ähnlich relevant sein können.
Besonders an der aktuellen Definition der Leitlinie ist zudem, dass auch unregelmäßige Zyklen für mindestens 4 Monate Anlass für die Diagnose einer prämaturen Ovarialinsuffizienz sein können, wenn die endokrinologischen Pathologien vorliegen.
Schließlich wird in der Diagnostik darauf hingewiesen, dass eine einzelne Bestimmung von FSH und Östradiol in Zusammenhang mit den angegebenen Zyklusstörungen für die Diagnose ausreichend ist und die Werte nicht erneut bestimmt werden müssen, wenn ein eindeutiges Bild besteht. Auf diesen Punkt in einer internationalen Leitlinie habe ich lange gewartet, da ich schon seit Jahren genau das empfehle.
Die Leitlinie empfiehlt eine genetische Diagnostik (Chromosomenanalyse, Fragile-X-Prämutationstest (FMR1)) unabhängig vom Alter bei Diagnosestellung. Auch das ist interessant, da man ansonsten eher in jüngerem Alter eine genetische Diagnostik bedenken würde. Die Leitlinie weist dabei v.a. auf den Punkt hin, dass die Ergebnisse relevant sein können für weibliche Familienangehörige. Die genetische Diagnostik ist selbstverständlich nur dann relevant, wenn nicht eine andere Ursache für die prämature Ovarialinsuffizienz bekannt ist (z.B. iatrogen).
Klinisch können Trägerinnen einer FMR1-Prämutation eine breite Palette von Symptomen und Phänotypen aufweisen, darunter neuropsychologische Erkrankungen Eine FMR1-Prämutation erhöht das Risiko eines Fragilen-X-assoziierten Tremor-/Ataxie-Syndroms (FXTAS), einer neurologischen Erkrankung, die durch spät einsetzende, progressive zerebelläre Ataxie und Intentionstremor, gefolgt von kognitiven Beeinträchtigungen, gekennzeichnet ist. Die Penetranz von FXTAS bei erwachsenen Trägern einer FMR1-Prämutation nimmt mit dem Alter zu und liegt bei über 50 % bei Männern im Alter von 70–90 Jahren. Frauen sind ebenfalls betroffen, aber Schweregrad und Penetranz sind geringer (16–20 %). FMR1-Prämutationen können sich bei der Übertragung auf die nächste Generation zu einer Vollmutation (>200 Wiederholungen) ausweiten und das Fragile-X-Syndrom (FXS) verursachen. Das Fragile-X-Syndrom ist eine X-chromosomal vererbte Erkrankung, die durch geistige Behinderung gekennzeichnet ist und hauptsächlich männliche Nachkommen betrifft. Insofern beinhaltet der Test auf eine FMR1-Mutation weitreichende Konsequenzen für eine dann betroffene Patientin. Ich empfehle daher dringend, eine humangenetische Beratung vor die Diagnostik zu setzen.
Zum Screening auf Sekundärendokrinopathien wird in der Langform der Leitlinie (https://www.eshre.eu/Guidelines-and-Legal/Guidelines/Premature-ovarian-insufficiency) ausgeführt, dass bzgl. der Nebennierenrindeninsuffizienz 2-3 % der Frauen mit einer prämaturen Ovarialinsuffizienz eine Nebennierenrindeninsuffizienz entwickeln können, anders herum entwickeln 6-20% der Frauen mit einem primär vorliegenden autoimmunen Morbus Addison eine prämature Ovarialinsuffizienz. Zum Screening kann man Autoantikörper erwägen (21-Hydroxylase-Autoantikörper), allerdings weisen die Autor:innen darauf hin, dass es diese Autoantikörper bei beiden Krankheitsbildern geben kann – prämature Ovarialinsuffizienz und autoimmuner Morbus Addison – so dass sie ggf ein falsches Bild geben. Wenn die Antikörper positiv sind, liegt die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer Nebennierenrindeninsuffizienz innerhalb der folgenden 10 Jahre bei 20%. Sind die Autoantikörper einmalig negativ getestet, gibt es keinen Grund, diese Testung zu wiederholen. Ich empfehle die Bestimmung von Cortisol alle 3 Jahre, um möglichst frühzeitig eine Pathologie in der Nebennierenrindenfunktion erkennen zu können.
Bzgl. des Risikos eines Typ 1 Diabetes mellitus äußert sich die Leitlinie auch sehr klar: Die Wahrscheinlichkeit einer Assoziation ist nach aktuellen Daten gering, so dass ein Screening nicht mehr empfohlen wird!
Zur langfristigen Betreuung weist die Leitlinie auf die Notwendigkeit hin, die konsequente Weiterführung der hormonellen Substitution bis ins mittlere Menopausenalter zu überwachen. Dabei wird hervorgehoben, dass diese Frauen eher hochdosiert substituiert werden sollen, als Richtgröße werden 2 mg Östradiol oral oder 100 µg transdermal empfohlen. Es wird auch die Möglichkeit einer Testosteronsupplementierung erwähnt als mögliche Therapie einer HSDD (hypoactive sexual desire disorder), wenn andere Ursachen (bio-psycho-sozial) ausgeschlossen wurden. Die Autor:innen verweisen auf die fehlenden Langzeitdaten einer solchen Supplementierung und beschränken die Empfehlung eindeutig auf die HSDD.
Desweiteren wird für die kontinuierliche Betreuung auch eine mögliche Knochendichtemessung bei Risikokonstellationen erwähnt sowie die Überwachung der kardiovaskulären Gesundheit.
Zur Fertilität werden die bekannten 5 % Wahrscheinlichkeit für eine Spontankonzeption angeführt mit dem Hinweis auf eine große Varianz zwischen verschiedenen Studien. Als mögliche Therapie zur Steigerung der Konzeptionswahrscheinlichkeit wird nachvollziehbar die Eizellspende hervorgehoben.
Diese Leitlinie und ihre Langfassung bieten einen hervorragenden Überblick über wichtige Fragen in Zusammenhang mit dieser Erkrankung.
Ihr
Michael Ludwig
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