In einer kommenden Publikation vergleicht eine Gruppe von 4 Autor:innen die verschiedenen Östrogene in den aktuell verfügbaren kombinierten Kontrazeptiva: Östradiol, Östradiolvalerat, Estetrol und natürlich Ethinylöstradiol, dabei werden Östradiol und sein Pro-Drug Östradiolvalerat analog betrachtet. (Frank Z. Stanczyk et al. Comparison of Estrogenic Components Used for Hormonal Contraception. Contraception 2023; im Druck: doi.org/10.1016/j.contraception.2023.110310)

Im Vergleich zu Östradiol bindet Ethinylöstradiol etwa doppelt so stark an den Östrogenrezeptor-Alpha aber nur etwa halb so stark an den Beta-Rezeptor. Herausragend ist die Stimulation des systemischen Proteoms.

Die Estetrol-Bindung an die Östrogenrezeptoren ist deutlich geringer als die von Östradiol, sie beträgt hinsichtlich des Alpha-Rezeptors nur etwa ein 50.tel und hinsichtlich des Beta-Rezeptors nur etwa ein 20.tel gegenüber Östradiol. Die Wirkung von Estetrol geht zudem über die nukleären Östrogenrezeptoren und nicht die membranösen, weswegen Estetrol auch als selektiver Östrogenrezeptor-Modulator benannt wird (SERM). Zudem entstehen kaum Metabolite bei der Verstoffwechslung von Estetrol, das über Konjugierung abgebaut wird, anders als bei der von Ethinylöstradiol und auch Östradiol, die über eine Hydroxylierung verstoffwechselt werden.

Die Bioverfügbarkeit ist für Estetrol am höchsten, für Östradiol beträgt sie weniger als 5%, für Ethinylöstardiol 40-45%.

Ein relevanter Grund für die hohe Blutungsstabilität von Ethinylöstradiol ist, dass Gestagene in den kombinierten Kontrazeptiva die 17-beta-Hydroxysteroid-Dehydrogenasae 2 stimulieren, die Östradiol in das schwache Östrogen Östron metabolisiert – Ethinylöstradiol hat diese Wirkung nicht. Zudem reduzieren die Gestagene die nukleäre Östrogenrezeptorendichte im Endometrium, was zu einem anti-mitotischen Effekt führt. Relevanz für die Endometriumstabilität hat die Kombination mit definierten Gestagenen, die exakte und komplexe Ursache für Blutungsinstabilität unter kombinierten Präparaten können die Autor:innen nicht benennen.

Die Autoren diskutieren zudem die Äquivalenzdosen der verschiedenen Östrogene und postulieren diese mit 15 mg für Estetrol, 1-3 mg für Östradiol(valerat) und 1 bis 35 µg für Ethinylöstradiol.

Die Äquivalenzdosis festzumachen an der ovariellen Suppression halte ich bzgl. der Ausführungen der Autor:innen so nicht für ganz korrekt. Es ist richtig, dass die angegebenen Dosen diejenigen sind, die in den kombinierten Kontrazeptiva verwendet werden. Allerdings ist die Wirkung auf die hypothalamisch-hypophysäre-ovarielle Achse eine sehr unterschiedliche – die Wirkung von Ethinylöstradiol mit einer quasi kompletten Suppression bei Anwendung von 20-30 µg ist gegenüber der von Östradiol(valerat) oder Estetrol nicht vergleichbar.

Bzgl. des Effekt auf hämostaseologische Parameter finden die Autor:innen in den bislang publizierten Daten nach ihrer Interpretation keinen Unterschied zwischen Präparaten mit Ethinylöstradiol und Östradiol(valerat) – das ist eine bemerkenswerte Schlussfolgerung, da viele Autor:innen in den letzten Jahren immer wieder auf das vermeintlich niedrigere Thromboserisiko von Präparaten mit Östradiol(valerat) verwiesen haben. Persönlich sehe ich mich durch die Auffassung dieser aktuellen Publikation bestätigt. In Hinblick auf Estetrol ist eine Bewertung des Thromboserisikos nicht möglich, solange nicht mehr Daten vorliegen. Allerdings, so die Autor:innen, ist die Auswirkung von Estetrol auf die hämostaseologischen Parameter geringer als von Ethinylöstradiol und Östradiol, eher neutral.

Eine insgesamt interessante Übersicht zu den verschiedenen Östrogenen sowie eine realistische Einschätzung von deren Vor- und Nachteilen.

Ihr

Michael Ludwig