Die Wirkung von AMH, die physiologische Bedeutung, ist nach wie vor noch Gegenstand der Diskussion und wissenschaftlichen Forschung. Bisher angenommen wird, dass AMH den Übergang von primordialen zu primären Follikeln hemmt und die FSH-Empfindlichkeit von frühen antralen Follikeln senkt. Insoweit ist die Theorie, dass AMH dem Erhalt des primordialen Follikelpools dient.

Neuere Erkenntnisse werden in einem Manuskript in der Zeitschrift Human Reproduction diskutiert. (Juan J. Fraire-Zamora et al. Mind the gap: deciphering the role of anti-Müllerian hormone in follicular development—from animal studies toward clinical application. Human Reproduction, im Druck: doi.org/10.1093/humrep/dead075)

Daten aus genetisch veränderten Mäusen legen nahe, dass AMH die Apoptose von frühen antralen Follikeln fördert bzw. bei Mäusen ohne AMH-Gen mehr Follikel den Übergang überleben. Insofern wäre dann die Aufgabe von AMH nicht der Erhalt des primordialen Follikelpools sondern die Limitierung der wachsenden antralen Follikelkohorte.

Desweiteren wird diskutiert, ob es einen direkten Zusammenhang zwischen der Gonadotropinsekretion und der AMH-Produktion durch antrale Follikel gibt. Im Bereich von Patientinnen mit Malignomen wird das Problem besonders evident: Durch eine Chemotherapie fällt das AMH, die Gonadotropine steigen – Ursache ist eine „Vernichtung“ der antralen Follikel, eine Erholung ist möglich. Gibt man einen GnRH-Agonisten zur Ovarprotektion, so senkt dies die Gonadotropine, AMH fällt ebenfalls ab. In einer Online-Befragung stimmten jeweils 1/3 der befragten Wissenschaftler:innen dafür, dass ein Zusammenhang zwischen Gonadotropin- und AMH-Sekretion bestünde, dass kein solcher Zusammenhang bestünde oder man sich nicht sicher über den kausalen oder assoziativen Zusammenhang sei.

Wenn ich die bisherigen Daten betrachte, gehe ich eher nicht von einem kausalen Zusammenhang aus: Werden die Follikel durch eine Chemotherapie vernichtet, so führt dies zu einem Abfall der AMH-Konzentration, eben weil keine Follikel mehr vorhanden sind, die AMH produzieren können. Wird die Follikelreifung durch die Gabe von GnRH-Agonisten ausgeschaltet, so wachsen keine antralen Follikel, AMH fällt ebenfalls. Einmal ist es ein primäres ovarielles Problem – daher steigen die Gonadotropine – das andere Mal ist es ein sekundäres hypophysäres Problem – daher sinken die Gonadotropine.

Wenn man in eine andere Richtung denkt, so sieht man, dass unter kombinierten Kontrazeptiva AMH um etwa 30% niedriger gemessen wird – diese Beobachtung wurde vielfach bestätigt. Dies würde bei der bisherigen Überlegung zur Physiologie von AMH bedeuten, dass die Hemmung der Entwicklung von Follikeln, sich zu primären Follikeln zu entwickeln, geringer wird, insofern die primordiale Follikelreserve schneller schwindet. Dafür gibt es jedoch keine Evidenz: Frauen unter kombinierten Kontrazetpiva erleben nicht früher die Menopause als Frauen, die keine genommen haben. Diese Beobachtung zum AMH stützt also eher die oben dargestellte neue Beobachtung, dass nicht die primordiale Reserve erhalten wird sondern eher die antrale Follikelkohorte limitiert wird durch die AMH-Wirkung.

Die Arbeit schließt mit dem Absatz, dass die Wirkung von AMH für die Follikelreifung noch nicht in jedem Aspekt verstanden ist – dem kann ich nur zustimmen.

Ihr

Michael Ludwig