Eine Publikation beschäftigt sich mit der Frage, ob Östradiol (!) bei vaginaler Anwendung für die Endometriumsituation sicher ist. (Frank Z. Stanczyk et al. Endometrial safety of low-dose vaginal estrogens. Menopause 2023; im Druck: DOI: 10.1097/GME.0000000000002177) Der Titel der Publikation ist tatsächlich irreführend, da dort von „estrogens“ geschrieben wird – faktisch geht es jedoch ausschließlich um Östradiol und equine Östrogene.

Gerade diese Fragestellung ist jedoch interessant und relevant, da für Östriol – niedrig dosiert, 30 µg 2-3mal pro Woche – keine Sorge bestehen muss.

Östradiol zeigt einen sogenannten first-uterine-pass-effect, erstmalig 1995 beschrieben. Dieser besagt, dass über bisher nicht eindeutig geklärte Wege Östradiol primär im Uterus angereichert wird und dort höhere Konzentrationen als systemisch erreicht. Dasselbe gilt übrigens für Progesteron. Dieser Effekt ist insbesondere dann vorhanden, wenn Östradiol im oberen Drittel der Vagina angewendet wird, er ist geringer, wenn Östradiol im unteren Drittel der Vagina zur Anwendung kommt. Die daraus abgeleitete Empfehlung, zur höheren Sicherheit, Östradiol eher nur im unteren Drittel anzuwenden, halte ich für gewagt, da eine Kontrolle der Patientin bzgl. der Applikationstiefe definitiv unmöglich ist. Besteht also ein Risiko für eine ungeregelte Endometriumproliferation, wäre transvaginales Östradiol meiner Einschätzung nach kontraindiziert.

Die Autoren kommen allerdings auch zu dem Schluss, dass Östradiol nur ein Teil des Risikos für Endometriumkarzinome sein kann, da die meisten Endometriumkarzinome postmenopausal unter sehr geringem Östradioleinfluss entstehen. Möglicherweise aber, meine Meinung, liegt einfach die kritische Östradiolschwelle so niedrig, dass sie kaum diskrimiert werden kann. Ein anderer postulierter Risikofaktor ist eine Dysbalance der Östrogenrezeptoren: der Östradiolrezeptor Alpha vermittelt einen eher proliferativen Effekt, der Östradiolrezeptor Beta sowie der G-Protein-gekoppelte Östrogenrezeptor (GPER) einen hemmenden.

Was sagen die Daten? In der vorliegenden Publikation werden die Studiendaten von niedrig-dosierten Östrogen-Präparaten, wie sie von der FDA definiert wurden, eingeschlossen: 4-, 10- und 25 µg Östradiol-Tabletten bzw. -Kapseln, 25 µg Östradiol-Pessar, 0,312 mg konjugierte Östrogen-Creme und ein Östradiol-Ring mit 5-10 µg Östradiol-Abgabe pro Tag.

In den 19 eingeschlossenen Studien mit 2.057 Anwenderinnen werden 1 Fall eines Endometriumkarzinoms und 6 Fälle einer Endometriumhyperplasie beschrieben.        Der eine Fall des Endometriumkarzinoms sowie 1 Fall der Endometriumhyperplasie stammen aus derselben Studie, der größten eingeschlossenen Untersuchung in diesem Review mit 386 auswertbaren Biopsien von 443 Probandinnen bei dauerhafter Anwendung von 10 µg Östradiol-Tabletten zweimal pro Woche über 52 Wochen. (James Simon et al. Endometrial safety of ultra-low-dose estradiol vaginal tablets. Obstetrics and Gynecology 2010; 116: 876 – 883) Die Autoren dieser Publikation kamen damals – nachvollziehbar – zu dem Schluss, dass die Daten kein erhöhtes Risiko vermuten lassen, da vermutlich der Endometriumkarzinom präexistent war bzw. das Risiko im Rahmen dessen lag, was bei einer solchen Kohorte postmenopausaler Probandinnen zu erwarten war (0-1%). Die längste eingeschlossene Studie hat 9 (!) Probandinnen über 2 Jahre unter Anwendung von 25 µg Östradiol-Tabletten beobachtet und keine Pathologie gefunden.

Insofern, so die Autoren, ist aktuell bei niedrig dosierten Produkten mit Östradiol zur vaginalen Anwendung nicht von einem erhöhten Endometriumrisiko auszugehen. Allerdings ist die Aussage durch die sehr geringe Beobachtungszeit limitiert.

Meine Meinung: In Deutschland sind Tabletten mit 10 µg (Vagirux) und ein Ring (Estring) mit 7,5 µg täglicher Abgabe verfügbar. Beides fällt also unter das, was die FDA als niedrig-dosiert einstuft. Von beiden Präparaten darf man insofern – unter normalen Bedingungen – eine hohe Sicherheit erwarten. Wenn allerdings ein östrogen-abhängiger Tumor wie z.B. ein Mammakarzinom in der Vorgeschichte besteht, würde ich ein Östriol-Präparat vorziehen, um die systemische Auswirkung weiter zu reduzieren. Besteht eine Neigung zur Endometriumhyperplasie, ggf. ein früheres Endometriumkarzinom, so sollten sowohl Östradiol – niedrig dosiert – wie auch Östriol möglich sein, da man aufgrund vorliegender Beobachtungsdaten davon ausgeht, dass nach einem Endometriumkarzinom eine Östradioltherapie systemisch nicht kontraindiziert ist. Insofern sollte dies dann auch für die deutlich niedriger dosierte vaginale Therapie gelten.

Ihr

Michael Ludwig