In einer retrospektiven Kohorte aus Lille in Frankreich wurde das endokrinologische Profil von PCO-Syndrom-Patientinnen (n = 639) und Kontrollpersonen (n = 137) aufgearbeitet (Geoffroy Robin et al. Anti-Müllerian Hormone as a driving force of Polycystic Ovary Syndrome, independently from insulin-resistance. Reproductive Biomedicine Online, im Druck).

Im Endeffekt sehen die Autoren eine positive Korrelation der Follikelzahl und des LH-Tonus mit der Höhe des AMH. Ein hohes AMH geht einher mit einem geringeren BMI, einem weniger hohen Risiko für Adipositas, während das Risiko einer Hyperinsulinämie höher ist bei normal-niedrigem AMH. Die Autoren sehen darin die Bestätigung der Hypothese, dass das AMH einen stimulierenden Effekt auf die GnRH-Neuronen hat. Weiterhin sehen die Autoren, dass das AMH negativ korrelierte mit dem BMI der PCO-Syndrom-Patientinnen – ein hoher BMI ging eher mit niedrigem, normalem AMH einher.

Insofern könnte es, so die Autoren, aus ihren Daten heraus die Bestätigung für eine kürzlich aufgestellte Hypothese geben, dass nämlich zwei spezielle Gruppen von PCO-Syndrom-Patientinnen existieren: Es gibt eine „reproductive group“ charakterisiert durch ein hohes LH und SHBG, niedrigeren BMI und niedrigere Insulinspiegel einerseits und eine „metabolic group“ andererseits mit hohem BMI, hohen Glukose- und Insulinspiegeln, niedrigem SHBG und niedrigerem bzw. normalem LH-Tonus (Dapas M. et al. Distinct subtypes of polycystic ovary syndrome with novel genetic associations: An unsupervised, phenotypic clustering analysis. PLoS Med 2020; 17:394 e1003132).

Vielleicht ist es aber auch ganz anders: Sie wissen, wenn Sie meinen Blog regelmäßig lesen oder mich aus Seminaren und Vorträgen kennen, dass ich seit Längerem vor der Übermäßigen Vergabe der Diagnose “PCO-Syndrom” warne. Nicht alle Frauen mit Zyklusstörungen haben ein PCO-Syndrom, v.a. kann durchaus eine Adipositas Ursache und nicht Folge der Zyklusstörungen bzw. eines PCO-Syndroms sein. Eine Adipositas induziert eine zentrale Regulationsstörung mit konsekutiver Zyklusstörung. Es ist nicht immer die genetische Veranlagung zu einem PCO-Syndrom, die zu Übergewicht führt. In dem Zusammenhang ist der Inhalt dieses Artikels eine wertvolle Ergänzung: Diejenigen Frauen, mit einem „PCO-Syndrom“, die ein niedriges AMH haben, häufig adipös sind, haben gar kein PCO-Syndrom – sie sind eben adipös. Das hohe AMH zeichnet vielleicht insofern diejenigen Patientinnen aus, die tatsächlich unter einem PCO-Syndrom leiden.

Ich bitte das nicht dahingehend zu interpretieren, dass jetzt doch AMH zur Diagnostik des PCO-Syndroms gehört! Wir brauchen es dazu nicht. Aber im Zweifelsfall kann es bei der Differenzierung helfen – wenn unbedingt notwendig. Denn tatsächlich hängt davon vielleicht der Name ab, den man dem Problem gibt, der Lösungsansatz aber bleibt bei Adipositas derselbe: Die Gewichtsreduktion. Bei Normalgewichtigen wiederum mag das hohe AMH bei Zyklusstörungen diejenigen identifizieren, die tatsächlich unter einem PCO-Syndrom leiden.

Auch wenn dieser Artikel die Welt der Diagnostik in unserer täglichen Praxis nicht wirklich erhellt mag er aber dazu beitragen, das Problem „PCO-Syndrom“ zu entschlüsseln.

Ihr

Michael Ludwig