Die Lancet Meta-Analyse aus dem August des letzten Jahres zum Zusammenhang von HRT und Mammakarzinomen hat zu einer großen Aufregung und meiner Ansicht nach zu einer nicht nachvollziehbaren Aufregung geführt, da die berichteten Daten im Wesentlichen bekannt waren. Einzig bemerkenswert waren die berichteten Absolutzahlen zusätzlicher Mammakarzinome unter Anwendung einer HRT, worauf ich in diesem Blog auch bereits eingegangen bin.
Nun haben andere Autoren diese Zahlen re-analysiert und fragen gerechtfertigter Weise danach, welches Risiko ein Basisrisio darstellt und welches tatsächlich der HRT zuzuschreiben ist – underlying risk und attributable risk – abhängig davon, ob ein niedriges, ein mittleres oder ein hohes Risiko für die Entwicklung von Mammakarzinomen besteht (Richard J. Santen et al. Underlying Breast Cancer Risk and Menopausal Hormone Therapy. Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism, im Druck). Basis für die 3 Risikogruppen – niedrig, mittel, hoch – warne Risikokalkulationen des National Cancer Institute und der International Breast Cancer Intervention Study.
Die Autoren der Originalstudie 2019 gehen von 63 Fällen eines neu-diagnostizierten Mammakarzinoms bei Frauen zwischen 50 und 69 Jahren aus, wenn keine Hormontherapie angewendet wird (Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer. Type and timing of menopausal hormone therapy and breast cancer risk: individual participant meta-analysis of the worldwide epidemiological evidence. Lancet 2019; 394: 1159 – 1168). Dies wird um 20 Fälle gesteigert, wenn man für 5 Jahre mit einer kombinierten Hormontherapie behandelt. Das Risiko steigt um etwa das doppelte, wenn die Therapie für 10 Jahre gegeben wird.
Unterscheidet man nun nach niedrigem Risiko (unter 1,67% für die nächsten 5 Jahre), mittlerem Risiko (1,67 – 5% für die nächsten 5 Jahre) und hohem Risiko für ein Mammakarzinom (mehr als 5% für die nächsten 5 Jahre) so kommen die Autoren der aktuellen Publikation zu folgenden Zahlen für das der HRT zurechenbare Risiko für eine Anwendung von maximal 9 Jahren, im Mittel 7,5 Jahre: 22 auf 1.000 Anwenderinnen, 44 auf 1.000 Anwenderinnen und 87 auf 1.000 Anwenderinnen für die Gruppe mit niedrigem, mittlerem und hohem Mammakarzinomrisiko. Insofern trifft die Berechnung von 40 zusätzlichen Fällen aus der Original-Meta-Analyse (2019) nur diejenigen mit mittlerem Risiko (+44 Fälle). Frauen mit niedrigem Mammakarzinom-Risiko haben knapp die Hälfte des zurechenbaren Risikos, Frauen mit hohem Risiko etwas das Doppelte.
Betrachtet man die Frauen mit Östradiol-Mono-Therapie sieht man 4,8, 9,9 und 19 Fälle auf 1.000 Anwenderinnen für die Dauer von 5-9 Jahren.
Wird die HRT kürzer angewendet, unter 5 Jahre, im Mittel 2,5 Jahre, liegen die Zahlen bei 4,2, 8,0 und 17 auf 1.000 Anwenderinnen. Unter einer Östradiol-Mono-Therapie sind die Zahlen mit 1,2, 2,4 und 4,8 auf 1.000 Anwenderinnen deutlich niedriger.
Schließlich berechneten die Autoren noch das Risiko für eine Langzeitanwendung von 15 Jahren oder mehr. 68, 135 und 278 Frauen auf 1.000 Anwenderinnen einer kombinierten HRT würden dann in den drei Risikogruppen durch die HRT ein Mammakarzinom entwickeln. Für die Östradiol-Mono-Therapie sind die Absolutzahlen wiederum niedriger mit 16, 32 und 64 Fällen auf 1.000 Anwenderinnen.
Insgesamt extrem spannende Zahlen, die hier publiziert werden, wichtig für die Beratung der Patientin, die eine HRT benötigt und wünscht. So wird man individueller und besser beraten können.
Ihr
Michael Ludwig
Was ich nicht verstehe: wie können die Zahlen der WHI Studie durch eine Metaanalyse von vielen Studien unterschiedlichen Wertes relativiert werden? Auch in Bezug auf die lang laufende französische Studie mit Estradiol und Progesteron oder den Östrogenmonotherapiearm der WHI – Studie. „Folgt der Wissenschaft“ sagt Greta, das mag mittlerweile bei der Klimakrise stimmen, bzgl. Der Risiken der HRT handelt es sich eher um einen Schlingerkurs. Das macht es auch spannend, ist aber den Patientinnnen nicht immer leicht zu vermitteln. Ich halte mich da an Bayes Theorem. In der Medizin werden wir selten sicher sein können.
Lieber Herr de Moll, wir tasten uns mit Studien an die Wahrheit heran – je größer eine Studie ist, desto schwerer sind ihre Ergebnisse durch eine Meta-Analyse zu relativieren. Aber bzgl. der Frage des Mammakarzinom-Rjsikos ist die WHI-Studie nun nicht die einzige, die es gibt. Einen Schlingerkurs sehe ich eigentlich nicht: Es ist seit Jahren klar, dass eine kombinierte HRT insbesondere einen Einfluss auf das Mammakarzinom-Risiko hat, die Frage ist, wie ausgeprägt dieser Effekt ist. Auch klar ist, dass die Östrogenmonotherapie einen geringeren Einfluss hat – manche behaupten, es gäbe gar keinen, manche sehen eine Risikoreduktion – dazu wird noch ein Blogbeitrag in Kürze kommen. Ich interpretiere die Daten nunmehr so, dass der Effekt (a) geringer ist als der einer HRT und (b) in den meisten (risikoarmen) Fällen nicht klinisch relevant sein wird. Dazu noch eine weitere Überlegung: Wenn man konsequent denkt, dann müsste man nun für die optimale Risikoreduktion von Mammakarzinomen in der HRT equine Östrogene geben, denn nur für die ist diese Reduktion mit einer ausreichend guten Sicherheit belegt. Will sagen: Der vermeintliche Schlingerkurs resultiert ggf. auch daraus, dass wir manchmal Äpfel mit Birnen vergleichen. Ihr Michael Ludwig