Sind Gestagen-Mono-Präparate mit einem erhöhten Risiko für Mammakarzinome assoziiert? Aktuell gehe ich aufgrund der vorliegenden Daten davon eher nicht aus. Die beschriebene Assoziation z.B. auch mit LNG IUDs scheint mir eher Folge eines Selektions- oder Verschreibungsbias zu sein: Frauen mit Risikofaktoren für ein Mammakarzinom wie Adipositas oder Rauchen erhalten bevorzugt Gestagen-Mono-Präparate, was sich dann in dem erhöhten beobachteten Risiko niederschlägt.
Nun erscheint eine Registerauswertung (Clinical Practice Research Datalink, CPRD, aus England). (Danielle Fitzpatrick et al. Combined and progestagen-only hormonal contraceptives and breast cancer risk: A UK nested case–control study and meta-analysis. PLOS Medicine 2023; 20: e1004188) Senior-Autorin ist die im letzten Jahr verstorbene australische Epidemiologin Valerie Beral, die seit Jahrzehnten zur Assoziation von hormonellen Therapien und Mammakarzinomen publiziert hat.
In diese Auswertung gingen 9.498 Frauen unter 50 Jahren ein, bei denen ein Mammakarzinom zwischen 1996 und 2017 diagnostiziert worden war, sowie 18.171 gematchte Kontrollpersonen. Im Mittel lagen Daten von 7,3 ± 4,6 Jahren an Daten vor Diagnose des Mammakarzinoms vor.
Die Auswertung zeigt ein erhöhtes Mammakarzinomrisiko für kombinierte orale Präparate (OR 1,23, 95% KI 1,14 – 1,32), orale Gestagen-Mono-Präparate (OR 1,26, 95% KI 1,16 – 1,37), Gestagen-Depots (i.m./s.c.) (OR 1,25, 95% KI 1,07 – 1,45) oder LNG IUDs (OR 1,32, 95% KI 1,17 – 1,49). Über alle hormonellen Kontrazeptiva hinweg betrug das adjustierte Risiko OR 1,25 (95% KI 1,18 – 1,33).
Zudem führte die Arbeitsgruppe eine Meta-Analyse ihrer Daten zusammen mit 12 Beobachtungsstudien durch. Die Meta-Analyse bestätigte das erhöhte Risiko für orale Gestagen-Mono-Präparate (OR 1,29, 95% KI 1,21 – 1,37), Gestagen-Depots (i.m./s.c.) (OR 1,18, 95% KI 1,07 – 1,30) und LNG IUDs (OR 1,21, 95% KI 1,14 – 1,28).
In der Publikation wird aus diesen Daten errechnet, dass das zusätzliche Risiko für ein Mammakarzinom bei 5jähriger Anwendung kombinierter Kontrazeptiva oder oraler Gestagen-Mono-Präparate absolut um 8 Fälle pro 100.000 Anwenderinnen von 16 – 20 Jahren und 265 auf 100.000 Anwenderinnen von 35 – 39 Jahren steigt.
10 Jahre nach Absetzen einer hormonellen Kontrazeption wird das Risiko nicht mehr beeinflusst.
In ihrer kritischen Beurteilung der eigenen Daten, sieht die Gruppe einen relevanten Punkt v.a. darin, dass nur die letzten Jahre vor Diagnose des Mammakarzinoms eingeschlossen waren. Zudem formuliert die Autor:innen-Gruppe auch sehr klar, dass dieses Risiko gegenüber dem bewiesenen Nutzen hormoneller Kontrazeptiva abgewogen werden muss.
Was mich an der Auswertung stört, ähnlich wie bei anderen Publikationen zu diesem Thema, ist der fehlende Zusammenhang zwischen Dosis und Risiko: Das Risiko ist bei allen Präparaten quasi identisch, wobei man bei den Gestagen-Präparaten eigentlich erwarten müsste, dass LNG IUD das niedrigste Risiko hätten, gefolgt von oralen Gestagen-Mono-Präparaten und wiederum gefolgt von den Depot-Präparaten zur Injektion – eben weil mit der Applikation dieser Präparate die systemische Exposition von Gruppe zu Gruppe steigt. Denkt man die Situation weiter, so müssten kombinierte Präparate das höchste Risiko haben und nicht ein identisches zu den Gestagen-Präparaten.
Nun ist den Autor:innen dieser Zusammenhang und v.a. das hohe Risiko bei LNG IUDs auch aufgefallen. Insofern haben sie eine Subanalyse vorgenommen und Trägerinnen eines LNG IUD bzgl. ihres Mammakarzinomrisikos verglichen zu solchen mit Kupferspiralen und wiederum diejenigen mit Kupferspiralen zu solchen ohne eine Spirale. Basierend auf allerdings nur 142 Fälle lag die OR von Frauen mit einer Kupferspirale nicht erhöht vor mit 1,10 (95% KI 0,89 – 1,35). Der Unterschied zum Risiko von Frauen mit einem LNG IUD war nicht signifikant. Bedeutet? „Flüchtig betrachtet“ kann man daraus schließen, dass es die LNG IUDs sind, die das Risiko kausal verursachen. Bei anderer Betrachtung sprechen die Daten eher für meine Vermutung, dass Frauen, denen zu einem IUD geraten wird – mit oder ohne Hormone – ein grundsätzlich etwas erhöhtes Mammakarzinomrisiko haben, für den o.g. Selektionsbias also.
Ihr
Michael Ludwig
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