Wie entsteht eine Subfertilität, warum kommt es nicht zur Schwangerschaft, wenn alle messbaren Parameter unauffällig sind? Diese Frage beschäftigt mich schon lange und ich habe bereits vor einigen Jahren dazu ein Buchkapitel verfasst (https://www.springer.com/de/book/9783642301810 ). Nun kommt zu den bisherigen Erkenntnissen, warum es manchmal zwischen Eizelle und Spermium nicht zur Interaktion kommt, ein interessanter Mechanismus hinzu, der von einem finnischen Autor in einem Artikel besprochen wird: cryptic female choice, die Auswahl bestimmter Spermien durch die Eizelle (Jukka Kekäläinen. Genetic incompatibility of the reproductive partners: an evolutionary perspective on infertility. Human Reproduction 2021; im Druck).

Von den Spermien gelangt etwa einer von 1 Millionen bis zum Eileiter, nur wenige davon schaffen es bis in die distale Tube zur Stelle der Fertilisation. Überhaupt nur kapazitierte Spermien, Spermien, die einen Reifungsprozess durchlaufen haben, haben eine ausreichende Motilität und können per Chemotaxis die Eizelle finden. Zudem ist die Kapazitation Voraussetzung für die Akrosom-Reaktion, so dass die Spermien die Zona pellucida durchdringen können.

Der Autor nun beschreibt in seinem Artikel, dass diese durch den weiblichen Genitaltrakt induzierten Prozesse gesteuert ablaufen können, um nur gezielt ausgewählte Spermien definierter Partner für die Befruchtung zuzulassen.

Für Tierspezies ist dieser Auswahlprozess schon länger bekannt und wissenschaftlich nachgewiesen und wird auch als gamete-mediated mate choice bezeichnet: Auswahl eines Fortpflanzungspartners auf Eben der Gameten. Diese Auswahl funktioniert über verschiedene Mechanismen. Die Follikelflüssigkeit ist für Gameten verschiedener Partner verschieden attraktiv. Die Spermien-Performance ist zudem höher bei HLA-kompatiblen Partnern.  Auf genetischer Ebene existieren lange bekannte Mechanismen, die dazu führen, dass eine Paarung unterschiedlicher Spezies häufig blockiert wird. Ebenso existieren diese Mechanismen aber offensichtlich innerhalb einer Spezies und führen dazu, dass bestimmte genetische Eigenarten ausgewählt bzw. bevorzugt werden. Diese genetischen Eigenschaften werden über Oberflächen-Proteine und -Glykane präsentiert.

Insofern ist das im Rahmen der konventionellen IVF zu beobachtende Ausbleiben der Fertilisierung trotz morphologisch unauffälliger Spermien und Eizellen vermutlich nichts anderes als der Ausdruck eines cryptic female choice bzw. des gamete-mediated mate choice. So erklärt sich, warum Partner mit früheren Partnern gemeinsame Kinder problemlos gezeugt haben, in einer aktuellen Partnerschaft aber keine Schwangerschaft entsteht und die Spermien in vitro nicht einmal in der Lage sind die Eizellen zu fertilisieren.

Die Bedeutung dieser Mechanismen zur Auswahl eines kompatiblen Partners könnten weitreichend sein. Möglicherweise ist das Ausschalten dieser Mechanismen durch eine intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI), ggf. auch durch die konventionelle IVF in den unphysiologischen Bedingungen eines Mediums, Ursache für die nachweisbar erhöhte, wenn auch nur marginal erhöhte Fehlbildungsrate oder ggf. auch weiterer Veränderungen in der Entwicklung der so gezeugten Kinder, die teils in Studien beschrieben werden, in anderen wieder nicht apparent sein – ggf. weil diese Veränderungen tatsächlich diskret und wenig klinisch relevant sind.

In jedem Fall ein lesenswerter spannender Artikel!

Ihr

Michael Ludwig