Manche Aussagen in der Medizin basieren auf längst überholten Daten und Studien – eines meiner Lieblingsthemen. Nun wird in der Zeitschrift Contraception die Frage aufgearbeitet, woher eigentlich die Empfehlung kommt, dass orale Gestagen-Mono-Präparate in einem Fenster von maximal 3 h Variation genommen werden müssen. (Alexandra Wollum et al. A commentary on progestin-only pills (POPs) and the “three-hour window” guidelines: Timing of ingestion and mechanisms of action. Contraception, im Druck: https://doi.org/10.1016/j.contraception.2023.109978)

Ursprung dieser Empfehlung, so die 4 Autorinnen des Beitrags, ist eine Studie aus dem Jahr 1968 an 6 Frauen mit einem heute nicht mehr verfügbaren Präparat mit 0,5 mg Megestrolacetat. Die Studie zeigte, dass 22 – 24 Stunden nach Einnahme einer Tablette die Spermienpenetration im Zervikalmukus wieder zunahm.

Im Rahmen ihrer Literatursuche zeigen die Autorinnen auf, dass vor allem auch die Ovulationshemmung relevant ist, die einige Gestagen-Mono-Präparate mittlerweile bieten. So zeigen Studiendaten, dass Desogestrel 75 µg auch bei 12 h Verzögerung bei der Einnahme noch die Ovulation hemmt (Korver T et al. Maintenance of ovulation inhibition with the 75-microg desogestrel-only contraceptive pill (Cerazette) after scheduled 12-h delays in tablet intake. Contraception 2005; 71: 8 – 13. https://doi.org/10.1016/j.contraception.2004.07.016), Drospirenon 4 mg sogar bei 24 h Verzögerung (Duijkers IJM et al. Maintenance of ovulation inhibition with a new progestogen-only pill containing drospirenone after scheduled 24-h delays in pill intake. Contraception 2016; 93:303–309, doi.org/10.1016/j.contraception.2015.12.007) . Auch das Präparat mit 75 µg Norgestrel (entsprechend 37,5 µg Levonorgestrel), das sich gerade in der Zulassung als OTC-Präparat befindet, kann bei verzögerter Einnahme (6 h) oder vergessener Einnahme (24 h) noch in 70% die Ovulation hemmen, der Zervikalmukus veränderte sich nur in 2-3% in der Weise, dass der Score in den fertilen Bereich kam.

Insofern ist die generelle Empfehlung eines engen Einnahmefensters abhängig vom verwendeten Präparat heutzutage falsch und verunsichert unsere Patientinnen. Nun sollten wir auch nicht beraten, dass das Einnahmefenster völlig irrelevant ist – das führt dann vermutlich zu einer relativen Lässigkeit bei der Therapieadhärenz. Ich berate so, dass man sich eben nicht sklavisch an den Einnahmezeitpunkt halten muss, sondern eine Variation im Stundenbereich möglich ist.

Ihr

Michael Ludwig